Aufsichtsrat und Compliance
1. Was sind Compliance-Verstöße?
- Compliance ist die Übereinstimmung unternehmerischen Handelns mit rechtlichen Vorschriften, gleich welcher Qualität
- rechtliche Vorschriften bedeutet Regeltreue, also Einhaltung von Gesetzen, Richtlinien und freiwilligen Kodizes
- ein Compliance-Verstoß ist jedes Verhalten, gleich ob Tun oder Unterlassen, welches gegen Gesetz, Richtlinien bzw. freiwillige Kodizes verstößt
2. Wie erfährt der Aufsichtsrat von Compliance-Verstößen?
- durch Berichte des Vorstandes (z.B. durch Vierteljahresberichte nach § 90 AktG, Jahresberichte nach § 90 AktG, Sonderberichte über Rechtsgeschäfte, die von erheblicher Bedeutung für Rentabilität und Liquidität sein können, Anlassberichte nach § 90 AktG)
- durch Einsicht in Unterlagen im Rahmen der allgemeinen Pflicht zur Überwachung des Vorstandes gem. § 111 AktG
- durch Mitteilungen seitens des Betriebsrates
- durch Mitteilungen seitens eines Vertrauensanwalts/Ombudsmanns
- durch Mitteilungen eines Arbeitnehmers oder eines Dritten/Kunden
3. Zuständigkeit im Aufsichtsrat für die Bearbeitung von Compliance-Verstößen
- grundsätzlich als Kollegialorgan berufen
- vorrangig Satzungsregelungen oder Geschäftsordnung des Aufsichtsrats
- Ausschuss (Prüfungsausschuss/Audit Committee) gemäß Deutschem Corporate Governance Kodex
- zweckmäßig: Vorsitzender des Prüfungsausschusses
- Aufsichtsrat oder Prüfungsausschuss können einen Sachverständigen beauftragen, um festzustellen, ob der Vorstand seiner Verpflichtung nachgekommen ist, einen Compliance-Verstoß aufzuklären
4. Verpflichtung zum Eingreifen
- der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung des Vorstandes zu überwachen (§ 111 Abs. 1 AktG)
- das heißt: Kontrolle und Beratung
- der Aufsichtsrat hat keine Befugnis, Mitarbeiter des Unternehmens zu überwachen; er hat aber im Rahmen seiner Überwachung des Vorstands zu prüfen, ob dieser seiner Leitungsaufgabe hinreichend nachkommt
- Pflicht zur Prüfung, ob der Vorstand eine geeignete Compliance-Organisation eingeführt hat und seinen Überwachungsaufgaben nachkommt
daraus folgt strafrechtlich:
- das Aufsichtsratsmitglied bzw. „Delegierter“ (Mitglied bzw. Vorsitzender des Prüfungsausschusses) ist grundsätzlich tauglicher Täter des Untreuetatbestandes
- der Aufsichtsrat hat im Rahmen seiner Überwachungspflicht eine strafrechtlich relevante Vermögensbetreuungspflicht, aber auch nur im Rahmen seiner Überwachungspflicht. Er ist kein Garant für die ordnungsgemäße Unternehmensführung durch den Vorstand
- wenn der Aufsichtsrat nicht handelt, obwohl er entsprechend seiner Überwachungspflicht hätte handeln müssen, kann er wegen Untreue zum Nachteil der AG strafbar sein, wenn ein entsprechender Schaden eingetreten ist bzw. eine Vermögensgefährdung vorliegt
- der Aufsichtsrat hat z.B. nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob er Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder beschließt bzw. durchsetzt
5. Möglichkeiten zum Eingreifen
- der Aufsichtsrat verlangt Sonderberichte gemäß § 90 AktG
- der Aufsichtsrat (als Organ) darf Unterlagen einsehen (und auch anfordern), § 111 Abs. 2 AktG
- dies gilt auch für den Prüfungsausschuss, muss sich aber vom Gesamtaufsichtsrat zur Einsichtnahme und zur Prüfung ermächtigen lassen
- Gesetz sieht nicht vor, dass der Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss Mitarbeiter des Unternehmens vernehmen dürfen. Nur wenn es um vermeintliche Verfehlungen des Vorstandes geht
- wenn der Aufsichtsrat Sachverhalte feststellt, die im Interesse der Gesellschaft einer Lösung bedürfen, hat er kein Weisungsrecht
- er kann allenfalls dienstvertragliche Maßnahmen gegen den Vorstand veranlassen, kann Hauptversammlungen einberufen und berichten
- er hat keine Befugnis zur Geschäftsführung (§ 111 IV 1 AktG)
ergo:
Aufsichtsrat ist insoweit der „zahnlose Tiger“. Er kann nur prüfen, berichten und notfalls den Vorstand abmahnen oder ihn entlassen.
Der Gesetzgeber hat dies aber angesichts der ausgewogenen Machtverteilung zwischen den Organen der AG so gewollt
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